30.08.22 – 06.09.22 – Von Stränden, Landschaften und Geschichte
Knapp 2000 km lagen vor mir. Wie viel Kilometer würde ich stressfrei schaffen, wie lässt sich das abpacken, aufbauen und wieder einpacken händeln? Bleibt neben dem Fahren noch Zeit für die eine oder andere Besichtigung? Das wollte ich herausfinden, gewissermaßen der kleine Test vor der großen Fahrt. Ich wollte viel zelten, allerdings nicht bei niedrigen Temperaturen. In den Städten hatte ich die Hotels im Voraus gebucht.
30.08. – 31.08. – Deutsch Evern à Anklam
Andreas setzte sich an den Holztisch, der neben meinem Zelt auf der grünen Wiese zur Ausstattung des Campingplatzes gehörte. Er wohnt in Sachsen und machte hier mit seinem Kajak Urlaub an der Peene. Vor meiner Abreise überließ er mir ein Geschirrhandtuch, das ich vergessen hatte. Die Peene, die bei Anklam in das Stettiner Haff mündet, ist ein Eldorado für Wasserwanderer. Die Anlage ist durch die neuen Pächter modernisiert und ausgebaut werden. Mei Tipp: Wer mit dem Bike in diese Gegend kommt und zelten möchte, sollte hier unbedingt nächtigen.
Auf der Autobahn hätte ich die Fahrt in höchstens drei Stunden bewältigt. Aber Bike und Autobahn ist für mich keine gute Kombination. Ich stellte mein TomTom Rider Motorradnavi auf „kurvenreiche“ Strecke oder „kürzeste“ Route ein. Und prompt war ich häufig alleine auf Wegen, die den Namen Straße nicht verdienen. Durch Wald, durch die Feldmark oder durch kleine Dörfer, wirklich toll abseits der befahrenen Straßen Mecklenburg-Vorpommern zu erkunden.
31.08. – 03.09. – Anklam à Uniescie / Uniescie à Danzig / Danzig à Angerburg
Kleine Dörfer, einsame Straßen, so ging es bis Uniescie weiter. Der Campingplatz lag direkt am Haff Jezioro Jamno. Die Gegend ist sehr touristisch. Aber hier kündigen sich schon die schönen Strände an, die sich von Mecklenburg-Vorpommern bis nach Estland ziehen.
Ich hatte mir nach der Abfahrt vom Camping Na Granicy an der Ostsee ein wenig Zeit gelassen. Jetzt musste ich die wieder aufholen und versuchte zügig bis Danzig zu fahren. Es begann leicht zu regnen. Auf Landstraßen ist das Tempo auf 90 km/h, für LKW über 3,5 t auf 70 km/h limitiert. Das stört die LKW-Fahrer kaum. Offenbar haben die zusätzlich die Geschwindigkeitsbegrenzer manipuliert. Einem besonders waghalsigen LKW-Fahrer versuchte ich zu folgen. Mit 120 km/h kachelte durch die teilweise kurvigen Passagen. Ich ließ ab, wollte kein Mandat riskieren. Um 16 Uhr erreichte ich das Trip & Hostel in Danzig. Auf dem abgesperrten Hinterhofparkplatz konnte ich meine Susi abstellen. Gleich machte ich mich auf dem Weg durch die Danzigs Altstadt. Auch der nächste Morgen gehörte dem Sightseeing. Danzig bzw. Gdansk hat eine beeindruckende, exzellent restaurierte Altstadt. Ich genoss den schnellen Spaziergang bei sonnigem Wetter.
Der Wetterbericht sagte nichts Gutes voraus. Die Temperaturen sollten nachts auf unter 50C fallen. Ich cancelte meine Übernachtung in Litauen auf Camping Victoria am Wystiter See mit Blick auf die heute russische Enklave Kalinigrad. In Angerburg fand ich ein kleines Appartement mit Seeblick. Dafür konnte ich in Nowa Pasleka am Frischen Haff ein Blick auf Kalinigrad werfen. Das Potsdamer Abkommen besiegelte die Teilung des Frischen Haffs mit der dazugehörenden Frischen Nehrung. Der nördliche Teil gehört seither zur russischen Oblast Kalinigrad (früher Königsberg), der südliche zu Polen. Am Ende des zweiten Weltkrieges schnitt die russische Armee die Fluchtwege aus dem ehemaligen Ostpreußen ab. Tausende wählten die Flucht über das zugefrorene Haff. Tausende überlebten diese Flucht nicht, starben durch Erfrieren oder durch Angriffe der russischen Luftwaffe. Auch die weitere Route erinnert mit den Ortsnamen, die überwiegend durch polnische ersetzt wurden, an die preußische und deutsche Geschichte. Die Fahrt durch die landschaftlich schönen Masuren genoss ich mit meinem Bike. Vielerorts sind die Straßen erneuert, aber immer wieder gibt es Passagen im schlechten Zustand mit Schotter oder Schlaglöchern. Um etwa 17 Uhr erreichte ich mein Appartement in Angerburg.
03.09. – 05.09.22 – Angerburg à Kaunas / Kaunas à Nida à Klaipeda / Klaipeda à Liepaja
Bevor ich bis Suwalken weiter durch die polnischen Masuren fuhr, besuchte ich die Wolfsschanze, jener Ort, der im Nazideutsch auch als Führerhauptquartier bezeichnet wurde. Sie liegt in der Nähe von Rastenburg, dem heutigen Ketrzyn. Hitler und sein Stab wohnten hier in stahlbewerten, mehrwandigen Bunkerbauten. Von hier organisierten Hitler und seine Schergen ihre Verbrechen gegen Osteuropa und glaubten sich dabei sicher. Die Sicherungsmaßnahmen waren jedoch nicht streng genug, um das Sprengstoffattentat am 20. Juli 1944 auf Hitler zu verhindern, das Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf dem Gelände der Wolfsschanze während einer Lagebesprechung verübte. Hitler überlebte und nutzte diese Gelegenheit zu umfassenden Säuberungsaktionen gegen Regimegegner. Am 20. November verließ Hitler und sein Stab die Wolfsschanze wegen der unaufhaltsam vorrückenden roten Armee, um sein Führerhauptquartier in Berlin als Kommandozentrale zu nutzen. Doch der Krieg war längst verloren, das Regime glücklicherweise am Ende. Gleichwohl hielt der Schrecken des Krieges und der der durch die Nazis verursachte Völkermord noch rund weitere 10 Monate an.
Nach Suwalken bis Kaunas wurde die Strecke sehr motorradunfreundlich. Aus Zeitgründen wählte ich die E67 nach Kaunas, der Kulturhauptstadt 2022. Diese Strecke ist gleichzeitig die Hauptroute der litauischen und lettischen LKWs, die schließlich mit zur hohen Verkehrsdichte auf deutschen Autobahnen beitragen. Die meisten Touristen streifen die alte Hauptstadt Litauens by the way. Mehr war auch für mich zeitlich nicht drin. Gleichwohl machte ich mich gegen 17 Uhr in die Altstadt auf. Mein Motorrad stand sicher auf dem Parkplatz vor dem guten Algiro Hotel. Die Altstadt der zweitgrößten Stadt Litauens war voller Menschen, die Restaurants und Kneipen um den Marktplatz hatten kaum noch freie Plätze. Auf dem Marktplatz gab es ein spätsommerliches Konzert mit litauischer Rockmusik. Ich machte mich auf zur Mündung der Neris in die Memel und suchte anschließend einen freien Platz in einem der vielen Restaurants. Ich war überrascht von Kaunas, der heimlichen Hauptstadt Litauens.
Auf meiner vorletzten Etappe versuchte ich mit etwas mehr als der bis Ende Oktober erlaubten 130 km/h zügig über die A1 direkt auf die kurische Nehrung zu fahren. Die Tempolimits in Litauen variieren seltsamerweise je nach Jahreszeit (110 km/h vom 1. November bis 31. März / 130 km/h vom 1. April bis 31. Oktober). Die kurische Nehrung mit dem dazugehörigen Haff und dem rund 80 km langen Strand (40 km litauischer Anteil) war ein beeindruckendes Highlight meines Kurztrips. Dieser Strand braucht sich im weltweiten Vergleich nicht verstecken. Bis hierhin hatte ich die russische Oblast Kalinigrad weiträumig umrundet. Ich wollte bis zur russischen Grenze fahren. Aber zuvor war die Straße gesperrt. Gleichwohl konnte ich die russische Grenze vom Strand sehen. Die Wachttürme des russischen Kriegstreibers und Aggressors ragten aus der imposanten Dünenlandschaft. Ich hielt inne. In diesem Moment war dieser unsägliche, nicht erklärbare Krieg gegen die Ukraine so nah. Übrigens: Das Memel Hotel war etwas altbacken, aber sehr gut. Mein Motorrad konnte auch hier im abgeschlossenen Hinterhof sicher stehen. Vor meiner Weiterreise zur Fähre besichtigte ich zu Fuß Klaipeda, das frühere ostpreußische Memel. Das Memelland (litauisch Klaipėdos kraštas) war ein Gebiet im nördlichen Ostpreußen, das Deutschland 1920 nach Artikel 99 des Versailler Vertrags ohne Volksabstimmung an die alliierten Mächte abtreten musste.
Kurische Nehrung
Klaipeda
Von Klaipeda nach Liepaja waren es nur 141 km, inklusive einem Abstecher nach Palanga, einer stark besuchten Tourismushochburg an der litauischen Ostseeküste. Das Stena-Terminal in Liepaja war schwer zu finden. Nur wenig Touristen verirren sich auf diese Fähre. Vor allem LKW’s aus Lettland nutzen diese rund 22stündige Überfahrt nach Travemünde, um die umständliche und mehrtägige Fahrt durch Litauen, Polen und Mecklenburg-Vorpommern zu sparen. So war es schwierig eine Kabine zu bekommen. Die Vierbettkabinen waren zu teuer. Ein Herrenbett in einer Zweibettkabine war wenig einladend, zu groß die Wahrscheinlichkeit, mit einem alkoholisierten lettischen Trucker die Kabine teilen zu müssen. Nach einem Anruf bei Stena wurde ich ermuntert die Behindertenkabine zu buchen. So kam ich zu einer bequemen Überfahrt in einer großen Kabine mit Schreibtisch, großer Dusche und Toilette.