Südamerika mit dem Bike – 01.01.23 – ………..

01.01.  – 05.01. - Eingewöhnung in Chile – Susi und ich bereiten sich vor

Von Abschieden, die nicht einfach sind

Ich saß im Air France Flieger und sah die Lichter Hamburgs langsam verschwinden. Ich hatte den Abschied kurz gemacht, war aber tags zuvor noch bei zwei von meinen drei Enkelkindern und bei meiner Tochter. Weihnachten sah ich zum letzten Mal die andere Enkeltochter und meinen Sohn mit seiner Partnerin. Ich hatte meine Frau noch einmal kurz zum Abschied gedrückt. Als das Flugzeug die winterliche Wolkendecke durchstieß und der letzte sichtbare Kontakt abbrach, wurde ich nachdenklich und auch wehmütig. Das wars! Jetzt wartete meine Susi, die ein wichtiger Bezugspunkt für die nächste Zeit werden sollte. Mehrere Monate alleine und nicht im gewohnten Reiseteam mit Gitti standen mir bevor, nur eine grobe Reiseroute im Kopf und die unendlichen Weiten Südamerikas vor mir. Gleichzeitig hatte ich alle Optionen: Reiseverlauf und Reisezeit kann ich jederzeit anpassen.

Erinnerungen an Santiago de Chile und auf nach Vina del Mar

Die letzte große Reise hatten wir 2019 nach Nordsulawesi und Hongkong unternommen. Jetzt, drei Jahre später, kam ich sogleich in den Reisemodus: Sitzen, Gymnastik, schlafen, lesen, routiniertes Umsteigen in Paris. Ich hatte eine guten Flug mit Air France erwischt. Einen kürzeren Flug von weniger als knapp 20 Stunden nach Santiago hatte ich nicht gefunden.

Der Pullmanbus war ein alter Bekannter. Vor 10 Jahren war er oft neben dem guten Turbus ein guter Begleiter. Ich hatte eine Sitzplatznummer und setzte mich neben einem jungen Mann, der wie sich kurz darauf herausstellte, sehr gut Englisch sprach. Wir kamen ins Gespräch. Und ich hörte die Geschichte eines Pakistaners, der auf der Suche nach seiner Zukunft ist. Er saß im Pulmanbus, weil er sich am Wochenende mit seiner chilenischen Freundin in Vina del Mar treffen wollte. Aber er war in Chile unerwünscht. Seit Jahren wartet er schon auf die Einbürgerung und auf jenes Papier, das ihn den dauerhaften Wohnsitz in Chile garantieren würde. Er hat ein Schmuckgeschäft in Santiago und bezieht seine Waren aus Thailand. Er spricht inzwischen Spanisch. Aber die Einbürgerung ist nicht in Sicht, auf unbestimmte Zeit. „Ich werde wohl in Dubai ein neues Geschäft aufmachen,“ sagte er mir, als sich in Vina del Mar unsere Wege trennten.

 

Mein Handynavigationssoftware zeigte mir den Weg. Die Rucksacktrageriemen meiner wasserdichten Ortlieb Reisetasche eigneten sich nicht für längere Tragestrecken. Mit schmerzenden Schultern und ständig abrutschenden Reiserucksack, den ich vorne trug, und meiner Handgepäckstasche mit Helm und Kamera schleppte ich mich schwitzend bei 300C die steilen Hänge hinauf. Schnell wurde ich daran erinnert, dass ich in Südamerika war: Überall eingegitterte Häuser mit spitzen, unüberwindlichen Enden. Mein Weg führte mich in die sicheren Wohngebiete Vina del Mars, der mit knapp 330000 Einwohnern viertgrößten Stadt Chiles 120 Straßenkilometer westlich von Santiago.

 

Mein Handy war mir mal wieder aus der Hand gerutscht und die Karte vom Bildschirm verschwunden, als ich verzweifelt vor einer unüberwindlichen, verschlossenen Gittertür stand. Sie sperrte den Zugang vermeintlicher Kleinkrimineller in die besseren Wohngebiete. Die Option eines Abstiegs mit einer möglichen Umgehung dieses Hindernisses verwarf ich angesichts des anstrengenden Aufstiegs. Ich hatte Glück. Als ich etwas resigniert einen Ausweg aus dieser Situation suchte, kam ein Bewohner einer der obenliegenden Häuser den Weg hinauf. Er hatte im wahrsten Sinne des Wortes den Schlüssel zur Lösung meines Problems und ließ mich durch die Tür. Mir blieb nur ein erlösendes „Gracias“. Zu mehr reichen meine Spanischkenntnisse nicht.

 

Ich schaltete mein Handy auf Wifi, als ich das Vinarello Alto erreichte. Rainer Kaplan, ein nach Chile ausgewanderter Österreicher, hatte mir das Passwort zugesendet. Mein erster WhatsApp Anruf in Chile verschaffte mir Zugang zu meiner ersten Unterkunft: Kleiner Schreibtisch, Doppelbett, kleine, etwas spartanische Küchenzeile und eigenes Bad. Rainer vermietet vier dieser Lofts. Für mich war es zum Einstieg eine gute Wahl.

 

Es sollte für mich nur der Ausgangspunkt für meine Reise sein. Denn Vina del Mar bietet nichts Sehenswertes. Gleichwohl ist die im Verkehrschaos erstickende Stadt ein für Chilenen beliebtes Seebad. Rainer warnte mich vor Dieben in den Einkaufsstraßen. Ich war präpariert: Mein Rucksack ließ sich nur auf der Rückenseite öffnen und meine Bauchtasche von Pacsafe war mit Karabinern gegen Öffnen und mit einem innenliegenden Drahtgeflecht gegen Aufschneiden gesichert.

 

Vor zehn Jahren waren wir in Santiago de Chile. Außer dem „Plaza de Armas“, dem von der kastilischen Krone regelmäßig angelegten Hauptplatz lateinamerikanischer Städte, und der im direkten Umkreis teilweise erhaltenen Altstadt bietet Santiago de Chile nicht viel. Heute ist der Großraum Santiago mit über sieben Millionen Einwohnern die größte Agglomeration in Chile. Zusammen mit weiteren Agglomerationen in der näheren Umgebung wie z. B. Valparaiso leben hier über 40% der chilenischen Bevölkerung.

 

Gleichzeitig boomt hier die Kleinkriminalität. Obgleich Chile grundsätzlich als sicher gilt, wird vor allem auch von Chilenen immer wieder vor dieser Gefahr gewarnt. Einem Bikerpärchen aus Baden-Württemberg wurde während der Fahrt von Santiago nach Vina del Mar eine Tasche mit Notebook und zwei Motorradnavigationsgeräten gestohlen. Sie mussten deshalb ihren Reisestart verschieben und warteten im Vinarello Alto auf Ersatz.

Endlich sehe ich meine Susi wieder

Nach dem zweiten Blick entdeckte ich meine Susi, blinkend und ohne jeglichen Schaden hatte sie den Transport überstanden. Allerdings musste ich mich einen Tag länger gedulden. Weil der Neujahrstag ein Wochenendtag war, wurde der dadurch entfallene freie Tag nach chilenischer Gepflogenheit auf den folgenden Werktag verlegt. Die Hafenarbeit ruhte.

 

Ich schlängelte mich durch all die anderen Bikes aus Deutschland, Tschechien, Polen, der Schweiz und anderen Ländern. Alle waren im Sammelcontainer von Hamburg gekommen, andere warteten, teilweise von den südamerikanischen Pisten arg mitgenommen, auf ihren Rücktransport. Neben den großen KTM`s, BMW’s und all den anderen einschlägigen Adventurebikes nahm sich meine Susi wie eine Rarität aus. Andere Bikes wie eine alte tschechische Jawa 350, eine alte Suzuki 500 oder andere Bikes ließen bei mir Bewunderung über den Mut aufkommen, mit diesen Gefährten eine Südamerikareise in Angriff zu nehmen.

 

Ronny Tesch hatte alles im Griff. Ronny ist vor 20 Jahren der Liebe wegen nach Chile ausgewandert und arbeitete zunächst für eine deutsche Spedition als Repräsentant in San Antonio, Region Valparaiso. Heute ist er selbständiger Agent organisiert und managt selber Transporte und ist für Intime als Agent tätig. Sein Spezialgebiet: Transporte von Fahrzeugen aller Art. Rund 15 Bikes sollten heute ihre Einreisedokumente nach Chile erhalten und damit das Tor für Südamerika öffnen. Ronny holte mich um 7:15 Uhr im Vinarello Alto ab. Auch andere Biker, die by the way wohnten, stiegen ein. Der Tag begann gut und entspannt.

 

Mit Sicherheitshelmen betraten wir das Hafengelände. Danach schleuste Ronny alle Bikes routiniert durch die Einreiseprozedur, sammelte unsere Dokumente ein, kam mit ausgedruckten Formularen zurück, ließ uns zwischenzeitlich Dokumente unterschreiben, bis schließlich Zöllner kamen, um die Fahrgestellnummern mit den ausgestellten Papieren zu vergleichen. Ich war froh, dass ich, zudem ohne Spanischkenntnisse, diese Formalitäten nicht erledigen musste. Um 14 Uhr verließen alle Biker mit ihren Maschinen das Hafengelände und fuhren damit offiziell nach Chile. Alle packten irgendwie ein wenig um, steuerten mit ihren fast leeren Tanks die nächste Tankstelle an, um sich direkt auf den Weg zu machen oder noch ein Mal in die Unterkunft zu fahren.

 

Der erste Teil meiner Reise begann. Irgendwie fühlte ich mich frei, atmete die Luft tief ein und freute mich auf meine bevorstehende Tour. Ich stellte das Bike allerdings noch bis 05.01. im Vinarello Alto hinter einem gesicherten Zaun ab. Ich musste noch umpacken, einige Schrauben am Bike tauschen und die ersten Tage meiner Fahrt Richtung Patagonien organisieren.

Von Bikern, Träumen und Abenteuern

 

Ronny teilte vor dem Eingangstor zum Hafenbereich die Helme, die für den Zutritt in den Innenbereich nötig waren, aus. Auf Englisch erklärte er die Modalitäten. Tschechen, Polen und Deutsche warteten heute auf ihre Bikes. Wir grüßten uns, verglichen die Bikes, sinnierten darüber, wie die Pläne der anderen wohl aussehen könnten.

 

Bereits im Auto von Ronny hatte ich Leon und Marvin kennengelernt. Zwei Brüder, jünger als 30 und Vollblutbiker, die auch im Winter fahren – Leon mit einer KTM 1050 Adventure und Marvin mit einer 260 kg schweren Yamaha 1200 Super Tenere. Ihr Plan: 3 Monate Anden, Länder Chile, Argentinien, Peru und Bolivien.  Korbian und Magdalena, zwei Geschwister, ein Jahr on Tour durch Amerika ohne konkrete Planung, aber mit dem Ziel nach Ushuaia zu fahren und anschließend durch den gesamten Kontinent bis nach Nordamerika zu fahren. Ihre Gefährte: Zwei Yamaha XT 660, geländetaugliche Enduros und mit nur knapp 170 kg echte Leichtgewichte. Michael Schröder, als Journalist früher für die Motorradzeitung tätig und echter Profi, heute für Auto Klassik als Redakteur tätig. Er bereist das dritte Mal Südamerika, jetzt mit einer von BMW gestellten GS 1250 Adventure unterwegs. Seine Route: Südwärts die Carretera Austral fahren bis nach Puerto Natales, die argentinische Atlantikküste bis nach Buenos Aires und über San Pedro de Atacama zurück nach San Antonio. Zeit drei Monate. Dazu wollte er die Reise fotografisch dokumentieren und einen Bildband herausbringen. Arno Köbinger, unterwegs mit einer etwas aufgemotzten Suzuki V-Strom DL 650, mit rund 230 kg (inkl. Zubehöranbauteilen) durchaus ein leichtes Schwergewicht, mit dem ambitionierten Ziel, ebenfalls den amerikanischen Kontinent zu durchqueren, wohlwissend, dass dieses Maximalziel kein Muss und diese Reise eigentlich unabhängig von der zurückgelegten Strecke ein Traum ist

 

Die anderen fuhren dahin, ihre Ziele kannte ich nicht, aber jeder nahm seinen persönlichen Traum mit und wollte sein eigenes Abenteuer erleben.

 

Good luck Biker, safe Trip!

Chile – ein Land der Bankgebühren

Ich stehe vor dem Bankautomaten am Flughafen in Santiago und will mein erstes Geld abheben. Etwas verzweifelt versuche ich die vielen spanischen Informationen zu deuten. Nach drei vergeblichen Versuchen gebe ich auf. Erst als ein englisch sprechendes chilenisches Paar mir den Hinweis gibt, dass ich im zweiten Schritt von den acht Tasten die untere linke „Foreigner“ drücken muss, kam ich voran. Danach musste ich zwangsläufig die 7000 Pesos akzeptieren, die die Bank für eine Abhebung abzockt. Dabei ist das Limit auf 200000 Pesos (~220 €) begrenzt. Das sind satte 3,5% Abhebungsgebühr. Dazu kommt das Währungsumrechnungsentgelt von 1,75% bei der Kreditkartenbank. Manche Banken kassieren sogar eine Gebühr von 8000 Pesos. Auch wurden beim Einsatz der Karte ständig Gebühren verlangt. Ich bin gespannt, wieviel Gebühren am Ende meiner Reise mein Budget belastet haben.

 

Auch Relaxen muss sein – Erholung erste Gedanken zur Routenplanung

Eine Route: Nein! Unterkünfte: Nein! So unvorbereitet war ich noch nie! Eine grobe Idee hatte ich. Mehr nicht. Aber offenbar waren auch die anderen Biker nur so präpariert, jederzeit bereit, angepasst und spontan Pläne und Absichten zu ändern. Ich brauchte noch einige Zeit, musste mich aber bald entscheiden. Jetzt hieß es erst einmal: El Sur, Kilometer fressen auf der Pan Americana. Viel kann passieren, die Entfernungen sind für deutsche Verhältnisse kaum vorstellbar. An diese Spontanität muss ich mich erst noch gewöhnen. Auch das patagonische Wetter kann meine Fahrroute beeinträchtigen. Denn bei Kälte und Regen werde ich Westpatagonien meiden und auf die wärmere und trockenere Seite nach Argentinien wechseln.

 

Kilometerfressen ohne Pause würde ich nicht durchhalten wollen, da war ich mir sicher. Tempo reduzieren sollte die Devise meiner Fahrt werden, auch mal relaxen und nichts tun und wenn nötig, Routen abkürzen und Ziele auslassen.

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